Märchenstunde in Athen

An Griechenlands Premierminister Alexis Tsipras wäre Franz Kafka mit Sicherheit entweder verzweifelt, oder aber er hätte einen literarischen Helden gefunden, der ihm immer wieder ein Schnippchen geschlagen hätte. Dagegen hätte Baron Münchhausen wahrscheinlich keine Geschichte mehr erzählt, denn Tsipras schlägt ihn um Längen.

Wäre Tsipras der einzige politische Märchenonkel in Griechenland, dann hätten die Wähler eine Alternative. Tsipras Garantie, dem Schicksal mit griffigen Neusprech-Konstruktionen immer wieder von der Schippe zu springen, hat einen Namen, Kyriakos Mitsotakis. Der Oppositionsführer liefert eine konservative Variation von Tsipras Wahlkampf-Narrativ.

Die Rede ist vom Märchen des „sauberen Ende des Sparkurses“, welches Tsipras noch am letzten Mittwoch im Parlament preiste. Am nachfolgenden Donnerstag stimmte seine Regierung, vertreten durch Finanzminister Euklid Tsakalotos der Verlängerung der Sparmaßnahmen, neuen Rentenkürzungen und vier jährlichen Inspektionen durch die Kreditgeber zu.

Die Auflagen bleiben bestehen, bis Griechenland drei Viertel seiner Schulden an die institutionellen Kreditgeber, EU, EZB und IWF zurückgezahlt hat. Im günstigsten Fall könnte dies ungefähr 2050 eintreten. Ein kursierender politischer Witz besagt, dass Tsipras mangelhafte Englischkenntnisse daran schuld seien, dass er von einem „Ende der Memoranden spreche“. Denn schließlich diskutiert seine Regierung gerade die Unterschrift unter ein „supplemental memorandum“ genanntes Vertragswerk.

Schließlich zeigt Tsipras auch im Neugriechischen Schwächen. Kaum jemand hat vor seiner Parlamentsrede vom vergangenen Mittwoch gewusst, was „radioaktive Niveaus“ sind. Diese nämlich hatten gemäß Tsipras Arbeitslosigkeit und Zinsen für Staatsanleihen unter den Vorgängerregierungen erreicht.

240 neue Reformen und Gesetze um den IWF zu überzeugen

Tsipras vermied es bei der Rede natürlich zu erwähnen, dass die fiktiven Zinsen für die Staatsanleihen nicht zuletzt deshalb gesunken sind, weil die Europäische Zentralbank für sie einsteht. Den Zusammenhang zwischen der weiterhin mit 20 Prozent hohen, wenngleich leicht verminderten Arbeitslosenquote und der massenhaften Abwanderung junger Leute aus Griechenland kann er ebenfalls nicht erkennen.

Anders als die übrigen Staaten der Eurozone, Portugal, Spanien und Zypern musste Griechenland nun vier jährlichen Inspektionen der Kreditgeber zustimmen. Bei den anderen sind es nur zwei. Bis zum 12. Juni muss Athen einen neuen Vierjahresplan bis 2022 liefern. Das von SYRIZA vollmundig „Holistisches Programm“ genannte Werk beinhaltet 240 Reformen und Gesetze.

Es dient dazu, den Internationalen Währungsfonds zu überzeugen, dass Griechenland wirtschaftlich stärker wachsen kann, als der IWF es einschätzen. Die Planung wurde mit zahlreichen Korrekturen von Seiten der Europäischen Kommission vollendet. Von einem „Ende der Memoranden“ und einer „Abnabelung von den Vorgaben der Kreditgeber“ kann also keineswegs die Rede sein.

Das „Holistische Programm“ ähnelt einer Psalmensammlung, die Opposition klingt wie ein seltsames Echo

Die gewerkschaftlichen Rechte von Arbeitnehmern werden – zumindest bis 2022 – nicht komplett wiederhergestellt. Es gibt, ebenso wie bei den seit 2015 bestehenden Kapitalverkehrskontrollen, lediglich kleine Zugeständnisse. Detaillierte Erklärungen sind im 106 Seiten starken „Holistischen Programm“ nicht enthalten.

Es gleicht eher einer Art Psalmensammlung, mit welcher der Aufschwung herbeigebetet werden soll. Der Plan geht von einem Wirtschaftswachstum von 2,1 Prozent aus, welches wiederum ein Wachstum der Konsumnachfrage von 1,2 Prozent voraussetzt. Darüber hinaus sollen die Investitionen weiterhin um 7,6 Prozent wachsen und der Arbeitsmarkt jährlich um 0,4 Prozent wachsen.

Demgegenüber wettert die größte Oppositionspartei, die Nea Dimokratia, zwar gegen den wirtschaftspolitischen Kurs von Tsipras, kann aber keine glaubhaften Alternativen anbieten. Vielmehr kopiert Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis munter Tsipras Rhetorik aus dessen Oppositionszeiten. Er beklagt die hohe Steuerbelastung von Unternehmen und Bürgern und verspricht – Münchhausen lässt grüßen – wider besseres Wissen Steuersenkungen und auch die Abschaffung der Immobiliensondersteuer ENFIA.

Es ist die Steuer, welche unter der Regierung Samaras und mit Mitsotakis als Minister eingeführt wurde, und deren Abschaffung sich Tsipras auf die Fahnen geschrieben hatte, bevor er als Premierminister schlussendlich allen Sparvorgaben zustimmte, und die als vorläufige Steuer eingeführte ENFIA bis zur zweiten Hälfte des Jahrhunderts festschrieb.

Mitsotakis setzt darauf, dass sich genügend Wähler finden lassen, die ihm eine Senkung der Einkommenssteuern bis 10.000 Euro auf pauschal neun Prozent abnehmen. Schließlich hat Tsipras es genauso geschafft. Hinterher würde er im Fall seiner Wahl vermutlich ebenso wie Tsipras gegen die herzlosen Märkte wettern.

Am Euro festhalten um jeden Preis – den Schuldenschnitt fest im Blick

Ohne Beachtung des Chaos, welches der Euro-Zone aus Italien droht, halten sowohl Tsipras als auch Mitsotakis streng am Euro fest. Aus diesem Grund hat die Regierung Tsipras, die im Herbst 2015 ihr Einlenken zum Sparkurs gegenüber den Wählern mit einem zum Ende des dritten Programms sicheren Schuldenschnitt begründete, bereits jetzt für die nächsten zwei Jahre nach dem Ende des Programms soziale Einschnitte in Höhe von 5,2 Milliarden Euro beschlossen.

Über den Schuldenschnitt, den Tsipras so sehr herbeisehnt, möchten die Kreditgeber lieber nicht reden. Tsipras hat schließlich mit dem „Holistischen Plan“ die Munition geliefert, welche den IWF, der auf einem Schuldenschnitt besteht, vom Gegenteil überzeugen soll.

Im griechischen politischen Dialog fehlt eine Diskussion darüber, wie das Land mit den gestiegenen Energiepreisen zurechtkommen soll. Auf Inseln kostet der wegen der Iran-Krise verteuerte Sprit bereits mehr als zwei Euro pro Liter. Die Regierung denkt über eine Implementation der vom OECD vorgeschlagenen höheren Besteuerung von Treibstoff nach.

Sie plant weitere Autobahnmautstationen, um den privaten Straßenbauunternehmen Einnahmen zu bescheren. Die Arbeitsministerin Efi Achtsioglou verteidigte sich, sie habe eine Monatsrente von 380 Euro für die griechischen Ruheständler gesichert. Den Rentnern droht ab 2019 mit der neuen Rentenreform im Vergleich zu heute ein Verlust von bis zu drei Monatsrenten. Wie damit bei vergleichbaren Preisen wie in Deutschland der Konsum angekurbelt werden soll, bleibt ein Geheimnis. Zumal auch bei den Einkommenssteuern Erhöhungen der Abgabenlast bereits beschlossene Sache sind.

Italien? Türkei? Hellas ist vollauf mit sich selbst beschäftigt

Das Faktum, dass die kriselnde Türkei als direkter, mit militärischen Provokationen drohender Nachbar auch den griechischen Tourismus auf den der Türkei nahe liegenden Inseln beeinflussen könnte, fehlt in den Planspielen Athens ebenso wie ein Krisenplan für den Fall einer massiven Eurokrise in Italien.

Dafür jedoch träumen die größeren Parteien des Landes von Neuwahlen. Mitsotakis möchte an die Macht. Die „Bewegung der Wende“, wie die Sozialdemokratie mittlerweile firmiert, träumt von einem Anstieg der parlamentarischen Stärke - und Tsipras, der die Wahlen vorgeblich erst nach Ende der Legislaturperiode ausrufen lassen möchte, plant eine weitere Amtszeit.



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